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Erfolgreiche Premiere des Broadway-Musicals "Hair" am Theater der Landeshauptstadt
Lange Haare, gute Musik und ein Feuerwerk der Leidenschaft

Letzlich hielt es die Premierenbesucher nicht mehr in den Sesseln: Stehende Ovationen, rhythmischer Beifall als Begleitung der Zugaben. Spontaner Dank an schweißnasse wie glückliche Akteure, die zuvor über die Bühne, durch Parkett und Rang getobt waren. Erfolgreiches Ende der "Hair"-Premiere am Theater der Landeshauptstadt.
Zitat aus der Zeitung Volksstimme (12.01.98)
 

Dr. Hermann Berger

Magdeburg."Hair" kam 1968, ein Jahr nach der New Yorker Uraufführung. Bereits nach Deutschland. Gierig von der "lost generation" der hiesigen 68er aufgenommen. 1979 verfilmte Milos Forman den Stoff der Texter Gerome Ragni und James Rado. Galt MacDermonts Musik ist vor allem durch den Finalhit "Let The Sunshine In" zum Ohrwurm geworden.

Das Love-Rock-Musical ist kein "Schnulzical", bei dem am Ende ein "happy Pärchen" sich die Treue schwört. Das macht den besonderen Reiz aus. Hierin liegt auch die große Herausforderung jeder neuen Produktion. Denn: Hier verschwört sich eine Hippie-Truppe in ihrer Sicht auf widertrotzig unbürgerliche Werte. Diese entwickelt eine Gruppenkultur, die geprägt ist von der ,,Sucht" nach eigenem Erfahrungsgewinn, Toleranz gegenüber Anderslebenden, neuer ,,kollektiver" Spiritualität. Wenn's sein muß, auch mit harmloser Drogenorgiastik. Sie wollen ihre Träume Realität werden lassen. Das schweißt sie zusammen. Hier singen und tanzen Blumenkinder, deren Mister Präsident nicht ihr Präsident ist. Hier zeigen junge Leute ihre Seele und ihr junges Fleisch, das sie nicht auf die Schlachtbank eines Vietnamabenteurers legen wollen. Wie recht sie hatten, hat die Geschichte bewiesen. Insofern ist "Hair" auch ein Stück Geschichte der Jugend dieser Welt.

Brücken zum Heute der joblosen Generation

"Hair" hat kein festes Drehbuch. "Hair" ist ein bilderreiches konzertantes Happening, das, je nach Intention der Neuschöpfer, immer neu geboren werden muß. Der Beifall bewies, daß Regisseur und Choreograph Craig Simmons diese Aufgabe vollgültig gemeistert hat. Simmons hat sehr feinsinnig aus der Vorlage den Handlungsstrang um Claude herausdestilliert. Dieser Claude in der Darstellung des famosen Christian Venzke will sich der Einberufung zur Truppe mit Hilfe "seiner" Truppe entziehen. Das mißlingt. Man durchbebt sein Schicksal. Bilder abgerichteter GI's, die aus dem Hubschrauber gestoßen werden, im Lianengeflecht hängen, hingemetzelt auf der sich drehenden Bühne kreisen, muß man mitdurchzittem.

Simmons bleibt aber immer im Musical. "Hair" wird nicht zum Grusical, auch wenn im Finalbild das Vietnamopfer Claude als "Gekreuzigter" mit langem Hair über der Bühne infernalisch warnend schwebt und der musikalische SunshineRausch kontrastierend zum Requiem auf ihn wird. Das ist alles bestes Musicalhandwerk. Viel Licht- und Tonrauch. Optische Effekte auf den Zeitgeist schlagen auch Brücken zum Heute einer joblosen 98er Generation.

Aber Simmons läßt auch andere Schicksale in dieses Leidenschaftsfeuerwerk "Hair" einblitzen. Toll: Frank Tima als Indianer-Häuptling oder Washington-Präsident, wenn amerikanische Geschichte durchblättert wird. Toll auch als krückstockgestützter Vater im Generationskonflikt. Tima ist anfangs wahrer "Aufreiß-Burger", wenn er provozierend "nacktarschig" durch die Zuschauer hechelt, über die Reihen steigt, anbändelnd zum "Magde-Burger" wird. Er will sich nicht binden an die quicklebendige Sheila, der Petra Laube beste Stimme wie Stimmung gab. Aber man bebt auch mit Marion Gerlach, die als Jeanie stolz das werdende Baby hervorstreckt und in der Gruppe den Daddy dafür sucht. Nahegehend ihre rauch- und laserilluminierte Vision "Schwebend im Raum erkennen wir schon den Frieden."

"Perlen" fädelt Sunmons hintereinander auf seine Regieschnur: Schon anfangs gefordert ist John Gordon als Hud, wenn er "Ich bin ein Schwarzer Niemand" singt. Agil auch Barbara Johnson als dunkelrauchig timbrierte Ronny, die sich als Farbige vom blonden Girl mit deren "Hair" die Schuhe putzen lässt und von den Menschen singt, die alle gleich sind. Hervorragend Knut Müller als aufgeziegelte Leni Riefenstahl, wenn er bieder aus dem Publikum heraus mit naivem Mustersöhnchen (Jeffrey Laun) sich anbiedernd ins Getümmel mischt. Szenenbeifall!

Studentische Hippies singen mit den Profis

Wolf Gross hat eine unaufwendig wendige Ausstattung mit Treppchen und Versatzstücken gebaut, die ständig variiert wird. Hier singen und tanzen die musikstudentischen "Hippies" der Magdeburger Universität mit den "Profis" sehr homogen und schwer auseinanderzuhalten. Simmons ganzkörperliche Choreographie macht diese schwerelos schwebende Innigkeit möglich.

Was wäre "Hair" ohne seinen vielgestaltigen Sound von Gospel bis Rock. Wenn das Orchester unter Jan Michael Horstmanns Leitung aus dem Graben hochgefahren wird, er glücklich auf die Bühne springt und der Beifall anschwillt, ist das ein schönes Dank-Bild für ein perfektes "Hair"-Erlebnis.


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